Virgin und die Onkelz
Die Musikindustrie boykottiert in großem Stil, Virgin gerät ins Kreuzfeuer
1995 erhalten die Onkelz für 250.000 verkaufte Exemplare der "Heilige Lieder" ihr erstes Gold. Ebenso schießt die aktuelle '95er Veröffentlichung auf dem Virgin Label ohne große Probleme von null auf sechs in den Top 100 Longplay der Media Control Charts. Der Handel ist gespalten, wie nie zuvor. Allen voran, die Ladenkette WOM (World of Music), die die Böhsen Onkelz massiv boykottieren und auch zum öffentlichen Boykott in der Branche aufrufen. WOM veröffentlicht in seinem WOM-Journal einen "offenen Brief" an Stephan Weidner, in dem die Geschäftsleitung der Band vorwirft, "aus den Sünden von einst" Kapital zu schlagen, ohne diese "Sünden" genauer zu beschreiben und nimmt der Band den Wandel ohne Namensänderung nicht ab. In den Chartregalen bei WOM werden alle Interpreten eine Position nach oben geschoben, damit es den Kunden nicht auffällt, daß es dort in den TOP TEN ein freies Feld gibt und man womöglich neugierig werden könnte. Udo Lange, Geschäftsführer von Virgin Records und angesehener Mann in der Branche, muß sich im Wochentakt in Radio- und Presseinterviews für seine Entscheidung rechtfertigen, die Böhsen Onkelz unter Vertrag genommen zu haben. "Schockierende Uninformiertheit", so bezeichnet er den allgemeinen Wissenstand der Musikindustrie bezüglich der Böhsen Onkelz. Pressekonferenzen und Händlerseminare werde gehalten, während derer Stephan und Gonzo wie die Kamele ihere eigene Historie erklären und wiederkäuen müssen. Das hindert die Presse nicht daran, die Band weiterhin als verruchte und berüchtigte "Nazi-Kombo" zu bezeichnen. Immer und immer wieder werden den Lesern die pawlowschen Köder "Türken raus" und "Deutschland den Deutschen" von 1983 vorgeworfen, ohne daß man sich auch nur ansatzweise mit der Bewußtwerdung der Band auseinandersetzt, oder ihre Songs analysiert. Bereits 1993 hatten die Böhsen Onkelz in Geiselwind ein "Rock gegen rechts" Konzert organisiert und dem dortigen Bürgermeister einen Scheck über 8000,--DM zur Ausgabe für die Jugendarbeit überreicht. In Bremen hatte man im Oktober '93, zusammen mit dem DGB und der grünen Abgeordneten Helga Trüpel eine Veranstaltung gegen rechte Gewalt organisiert, gesponsort und finanziert. Ebenso fließen Geld- und Sachspenden in den Kosovo. Alle diese Dinge werden nicht nur nicht erwähnt, sondern man macht sie vielmehr zum Teil der Gegenargumentation. Die Onkelz seien eine "hinterhältige Nazi-Band", die sich nur verstelle und die diese Dinge nur unter marketingtechnischen Gesichtspunkten mache, um dem Image des Underdog, der Unverstandenen zu entsprechen. Dass es in den Köpfen der Musiker ganz anders aussieht, und dass es der Band im Prinzip egal ist, was über sie geschrieben wird, machen die Songs aus dieser Zeit deutlich. Der Musiksender Viva drängelt und bettelt, um eine großangelegte Dokumentation im Viva-Jam Format in den Räumen des B.O. Management aufnehmen zu dürfen. Nach langem hin und her willigt die Band ein. Kameras werden aufgebaut, die Band und das Management werden interviewt. Intelligente Fragen und intelligente Antworten. Zwei Tage vor der Ausstrahlung entscheidet die Programmleitung, dass der Bericht zu positiv ist und kippt die Sendung. Wertvolle Informationen werden nicht gesendet. Wie sich später noch häufiger zeigen wird, scheint das eine gängige Praxis zu sein. Ein Open Air Konzert in der Waldbühne Nordheim bringt 8000 Onkelzfans zusammen. Grund genug für die Göttinger Presse von einem "Alt-Nazi-Treff" zu sprechen. Dieser und ähnliche Artikel sorgen dafür, daß die Onkelz von nun an mit ihren Anwälten gegen jede Redaktion vorgehen, die die Böhsen Onkelz als "Nazis" bezeichnet oder in irgend einer Weise schlampig recherchiert und somit die Band weiterhin in die rechte Ecke drängt.
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"offener Brief von WOM an Stephan" |
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